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„Total schöner“ Pfad

Die Woche begann mit immernoch schönstem finnischen Spätsommerwetter und unserem Vorhaben, endlich einmal wandern zu gehen. Also zogen wir uns vorbildlich unsere Wanderschuhe an und stiefelten los. Das schöne an Finnland allgemein und Jyväskylä im besonderen ist, wie ich vielleicht schon das ein oder andere Mal erwähnt habe, die Natur. Wer jetzt also denkt, man müsse zuerst zur Bushaltestelle, zum Bahnhof oder zumindest mit dem Rad irgendwo hin, der war wohl noch nicht in Finnland wandern. Direkt hinter unserem Studentvillage befindet sich „Laajavuori“, was im Winter ein Skigebiet ist und im Sommer mit Downhill-Mountainbike-Strecken, einem Klettergarten und Wanderwegen auch nicht außer Acht zu lassen ist. Außerdem kann man hier Frisbee-Golf spielen. Diese für mich immernoch komische Mischung aus Frisbee und Golf ist hier irgendwie ein Volkssport. Bis ich allerdings gecheckt hatte dass man es NICHT mit einem Golfschläger spielt hat es… naja… ein wenig gedauert. Das Wandern an sich war total schön. Während wir die erste Hälfte noch auf Schotterwegen unterwegs waren entschieden wir uns irgendwann kurzerhand, einfach einem „total schönen“ Pfad zu folgen, der uns tatsächlich wieder sicher irgendwo hin geführt hat. Inmitten von nichts außer Bäumen, ein paar Moosen und vielleicht einem lauschenden Fuchs waren wir so von der Natur vereinnnahmt (benebelt?) dass wir uns plötzlich entschieden, nach Tallinn zu fahren. Aber nicht ein „Hey, wie wärs, lasst uns doch mal nach Tallinn fahren“, nein, ein handfestes „Wir fahren am Freitag nach Tallinn“ brachte uns am darauffolgenden Tag zum Planen in die Mensa. Also das heißt, zuerst zum Essen, dann zum Tratschen, dann zum Butterbrot-Nachschlag-Holen, anschließend zum Kaffeetrinken und dann zum Planen. Trotz dieser dem ein oder anderen vielleicht ineffektiv anmutenden Prozedur schafften wir es, sowohl Bus und Fähre als auch das Hostel für uns alle zu buchen, bevor wir zum Highlight des Tages aufbrechen mussten: Der Ulimate Sauna Experience!

„Pack den Flamingobikini ein“

Vor dem Saunagang

Vor dem Saunagang

Vor uns lag ein Saunagang der finnischen Art. An einem kleinen Häuschen direkt an unserem Kajak-See befand sich (natürlich, ich habe hier noch kein Häuschen/Wohnheim/Flughafen/Uni/Bahnhof/Fähre/Einkaufszentrum/Hostel ohne Sauna gesehen) eine, nein, zwei Saunen. Mit reichlich Zeit (und Bier) im Gepäck machten wir es uns erst einmal am Lagerfeuer bequem bevor es dann schließlich los ging: Abwechselnd statteten wir einer normalen Sauna, einer Rauchsauna und einem finnischen See abends um 9 (und wahrscheinlich auch mit 9°C) einen Besuch ab. Das klingt jetzt zwar sehr hart, ist aber in Wahrheit viel härter. Wenn man von einer ca. 90°C heißen Sauna in einen ca. 9°C warmen See springt, liegt (Achtung, rudimentäre Physikkenntnisse erforderlich!) das T bei stattlichen 81°C. Aber was solls, nur die Harten kommen in den Garten, die Schwachen lachen!

Unitechnisch musste ich diese Woche (außer finnischem Konsonantengewirr) nur eines lernen: Die finnisch/englische Vortragsweise ist mit Abstand das Einschläferndste was ich je gehört habe! Jedes Kinder-einschlaf-hörbuch ist ein Dreck dagegen! Ich habe es sogar schon aufgenommen, wenn das mit dem Studium nichts wird mach ich mein Geld einfach mit Einschlaf-CDs für Kinder (und falls sie aus irgendeinem Grund trotzdem nicht einschlafen, lernen Sie noch was über neurobiologische Korrelate bei Dyslexie, Mirroring bei Eheproblemen oder *das andere Thema hab ich dann auch schon wieder vergessen*, ein Traum!).

„Gehst‘ e in‘ ne Stadt, wat macht dich da satt? Ne Currywurst!“IMG_20150917_183553

Natürlich habe ich diese Woche auch etwas geschafft. Nämlich habe ich es geschafft, mich an einem Topf heißer Currywurst-Soße zu verbrennen, obwohl ich nicht einmal in der Küche stand. Für das „International Dinner“, zu dem jeder ein typisches Gericht seines Heimatlandes mitbringen sollte, habe ich mich als eher semi-geschickte Köchin an Chrissi und Julia gehalten, die unter meiner Anleitung (Chefkoch.de vorlesen klappt dann doch ganz gut) Currywurst gekocht haben, was auch echt lecker geschmeckt hat. Nur dass so eine Soße wenn sie kocht auch mal einen knappen Meter weit spritzt stand dann leider nicht bei Chefkoch.de.

„Kein Panik auf der Titanic“

Profi-Backpacker on tour!

Profi-Backpacker on tour!

Am Freitag ging es dann endlich auf nach Tallinn. Bei mittlerweile nicht mehr ganz so gutem Wetter (=strömender Regen) ging es nach einem kurzen Boxenstopp in der Mensa auf zum Busbahnhof, in einen in der Gestalt einzigartig unbequemen Reisebus. Nach 3,5 Stunden erreichten wir Helsinki und liefen bei leicht besserem Wetter (=Sprühregen und Sturmböhen) zum Hafen und enterten ähh piraten ähh betraten das Schiff. Arrrrr’ge Wellen hätten vielleicht den ein oder anderen Leichtmatrosen in die Knie gezwungen, aber Holzbein Cosima, Lunten-Liese, Rauhbein Julia, Kanonen-Chrissi und ich steuerten unerschrocken in den Hafen von Tallinn.

Unsere Küche inkl. unseres neuen Mitbewohners

Küche inkl. Mitbewohner

Das Hostel hatten wir ja bereits gebucht. Dass wir allerdings gefühlt im Griffindor-Gemeinschaftsraumschlafen würden war uns neu. Wartend standen wir inmitten eines Aufenthaltsraums mit angrenzender, offener Steinküche, um mitgeteilt zu bekommen, dass wir bereits mitten in unserem Zimmer sind und die Stockbetten an den Rändern jetzt uns gehören. Also nur 5 davon. Der ältere Mann der gerade in der Küche saß bekommt Nachts das Sofa und ein weiterer, momentan nur durch sein herrlich durftendes (abartig stinkendes) Handtuch vertretener Mann, belagert das letzte der 6 Betten. Da es aber ja bekanntlich für alles ein erstes Mal gibt und ich bei solchen Dingen recht unkomliziert bin, fanden wir schnell Gefallen an unserem Hostel.

sCeiLZz2YSXrkAPq_xJcAcgnRdXo9bxtCc0p2GvB9yMNach etwas Barhopping am Abend ging es am nächsten Tag weiter zur Stadtführung (Ja, wir interessieren uns tatsächlich auch für die Stadt und sind NICHT (nur) wegen dem günstigen Alkohol nach Estland gefahren). Ich muss gestehen, ich hatte selten eine so interessante Stadtführung. Wer von sich behauptet, halbwegs gut über europäische Geschichte informiert zu sein, soll mir doch bitte mal seine Kenntnisse von Estland aufzeigen. Richtig. Da weiß man eigentlich nicht so viel …. bis gar nichts. Und so ging es auch mir. Völlig zu unrecht allerdings, denn die Geschichte dieses Landes ist wirklich interessant. Denn wenn man eigentlich eigenständig sein will, sich aber ständig die nicht gerade kleinen Mächte Schweden, Norwegen, Russland und Deutschland um einen streiten, kann das ziemlich hart sein. ogpea97lVmsf8oYPmCfgnrlrkPwfD-ZVtE4W3O57XPUDie kürzeste Unabhängigkeit der Esten dauerte somit nur einen einzigen Tag, bis Russland sie wieder davon „überzeugte“, sich einzugliedern. Da ihnen jedoch immer bewusst war, dass sie gegen 99% aller Angreifer als nicht gerade größtes Land Europas sowieso keine Chance hätten, fand innerhalb der Tore Tallinns nie ein Krieg statt, wodurch das heutige Weltkulturerbe, die Altstadt, erhalten blieb.

„We hear you“

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Ein bisschen erinnert die Altstadt an Rothenburg ob der Tauber

Ebenfalls sehr interessant war die Zeit der UdSSR: Das Hotel Viru, ein Hotel für ausländische Gäste, hatte 23 Stockwerke. Gebucht werden konnte allerdings nur Stockwerk 1 – 22, der 23. Stock wurde vom KGB als Überwachungszentrale genutzt, in dem die Kameraaufzeichnungen und Wanzenmitschnitte aus allen übrigen Zimmern gesammelt wurde. Einer Erzählung nach stellte eine finnische Schauspielerin, die sich der Überwachung (wie die meisten Gäste) bewusst war, fest, dass sie kein Klopapier in ihrer Suite hatte. Aber warum extra die Rezeption anrufen, wenn man es auch auf KGB-Art lösen kann? Also stellte sie sich gut sichtbar in die Mitte des Zimmers, beschwerte sich lautstark darüber, und hatte keine 2 Minuten später einen Hotelboten mit Klopapier vor der Tür stehen. Auf die Nachfrage, woher man dass denn jetzt weiß antworte das Hotel nur, dass man immer für die Wünsche seiner Gäste offen sei. Was ja auch stimmt, vielleicht nur ein bisschen „zu“ offen.

Zu etwas späterer Stunde :)

Zu etwas späterer Stunde 🙂

Den restliche Tallinn-Tag verbrachten wir in Cafés und einem Pfannkuchenhaus, für mich als Fan jeglicher süßer Gerichte ein absoulter Traum! Kugelrund ging es dann abends ein weiteres Mal um die Häuser, unter anderem in eine Bar aus der man Shots aus Reagenzgläsern trinkt (öfter mal was Neues!). Am nächsten Tag entschieden wir uns spontan, unsere Betten mal ein wenig länger zu genießen und machten uns anschließend ein letztes Mal auf zum Frühstücken in die Stadt (um 14:00 Uhr).

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Dom von Helsinki

Nach einem kurzen Alkohol-Einkaufs-Stop (natürlich nicht für mich, alles nur für andere!!!) ging es wieder auf die Fähre und zurück nach Helsinki. Etwas platt schauten wir uns trotzdem noch den Dom von Helsinki an, den ich immernoch wunderschön finde. Nach einer fast Schlägerei in einer Pizzeria, einem Honigbier für 5€ und einem Aussichtsturm-Stopp ging es um Mitternacht mit dem Bus weiter nach Jyväskylä und dem eigentlichen Highlight der ganzen Woche: Wer jemals von sich behauptet hat, gerne Fahrrad zu fahren, soll dies doch bitte einfach mal Sonntag nachts von 3:00 Uhr bis 3:30 Uhr machen. Bitte dabei den 15kg Rucksack auf dem Rücken, die ständigen Hügel, den leichten Nieselregen und die 8°C nicht vergessen, dann ist es wirklich ein unvergessliches Erlebnis! Ich würde zwar den gesamten Tallinn-Trip sofort nochmal wiederholen, aber die 20€ fürs Taxi wären es mir definitiv wert!IMG-20150920-WA0038

Die ganze Truppe

Die ganze Truppe